Ich muss gestehen, dass ich mit der Jahreslosung 2024 meine liebe Mühe hatte. So viel vorneweg: Ein Gespräch mit meinem Kollegen Niklaus Friedrich brachte die Wende. Schliesslich konnte ich doch noch etwas mit ihr anfangen, mit ihm den Neujahrsgottesdienst dazu gestalten und auch wieder eine Serie Text-Bilder zu ihr herstellen (siehe hier). Das kam so:
Übersicht
1. Zu viel des Guten!
«Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!» (1. Kor. 16,14) Das mag ja ein schöner Spruch sein. Aber ist er nicht gar zu romantisch? Ist er nicht ein «Allerweltsspruch», der immer und überall passt, aber zu weit weg ist von uns und unseren Problemen? Und überhaupt: Ist das nicht zu viel des Guten? Sollen wir wirklich nur noch lieb und brav sein? Sind wir in unsrer Kultur nicht längst Weltmeister darin, immer nur freundlich zu sein und die anderen nicht ahnen zu lassen, wie es tatsächlich in uns aussieht? Das wäre doch, wie wenn wir nur noch Süsses essen würden. Auch wenn das Süsse lecker ist und wir Desserts besonders gernhaben: Müssten wir dann nicht krank davon werden? Und gilt nicht das Gleiche, wenn wir immer nur lieb wären zu allen und unsere eigentlichen Gefühle und Gedanken unterdrücken und zurückhalten müssten? Und ist es nicht gerade das, was diese Jahreslosung noch verstärkt? Das kann doch auf die Dauer nicht gut gehen! Das muss doch irgendwann einmal das Gegenteil bewirken, nämlich in uns – oder uns gegenüber – Aggressionen auslösen!
2. Konflikt in Korinth
Erst ein Gespräch mit meinem Kollegen half mir weiter. Wir fragten: Was bedeutet hier «Liebe»? Was für ein Licht wirft der Zusammenhang, in dem der Spruch steht, auf die Bedeutung dieses Schlüsselwortes? In der frühen christlichen Gemeinschaft in der griechischen Stadt Korinth herrscht ein offener Konflikt. Da wird nicht freundlich, vornehm oder höflich miteinander umgegangen. Da liegen die Unterschiede offen auf dem Tisch. Allerdings schlägt man einander auch die Köpfe ein. Unterschiedliche Gruppierungen haben sich gebildet. Sie berufen sich für ihre gegensätzlichen Ansichten auf verschiedene Autoritäten. Und sie wollen, dass Paulus ihnen recht gibt, dass der Streit zu ihren Gunsten entschieden wird. Paulus macht da nicht mit. Stattdessen schreibt er ihnen – eben – von der Liebe. Und am Schluss seines Briefes kommt er noch einmal darauf zurück: «Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.» Heisst das einfach: «Seid jetzt bitte endlich lieb zueinander!»? Das würde nicht wirklich weiterführen. Damit wäre nichts gelöst. Im Konflikt, wenn man sich ungerecht behandelt und unverstanden fühlt, will man doch vor allem eins nicht: Lieb sein!
3. Das Hohelied der – Fairness
Nein, Paulus ruft nicht auf, die Unterschiede und Spannungen unter den Tisch zu wischen und einfach lieb zueinander zu sein – oder zumindest so zu tun. Er schreibt auf Griechisch und in dieser Sprache gibt es vier Worte mit unterschiedlicher Bedeutung, die wir alle mit dem gleichen deutschen Wort Liebe übersetzen. Sicher, es ist uns auch im Deutschen klar, dass Paulus den Christen in Korinth nicht nahelegt, sich ineinander zu verlieben. Er hat Eros, den Ausdruck für körperliche Anziehungskraft, auch nicht verwendet. Er erwartet offenbar nicht einmal, dass die Konfliktparteien Freunde werden. Sonst hätte er Philia gebraucht. Er spricht auch nicht von Diakonia, von einer hilfsbereiten, empathisch unterstützenden Zuwendung zueinander. Das Wort das Paulus verwendet, lautet Agape. Es bezeichnet einen Zusammenhalt, der grosszügig und überschwänglich allen Unterschieden standhält. Egal wie gross sie sind. Agape bezeichnet die göttliche Liebe, die es regnen und die Sonne scheinen lässt über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,46). Wenn sie geschieht, ermöglicht sie Gleichwertigkeit und Respekt vor den Unterschieden. Der durch sie bewirkte Zusammenhalt verwischt die Unterschiede nicht und lässt die Spannungen nicht verschwinden. Ein durch Agape geprägter Zusammenhalt ist durch Wertschätzung und Auseinandersetzung geprägt, nicht durch eine unfaire Durchsetzung der einen gegen die anderen. Auch wenn Fairness nicht ganz alles umfasst, was die göttliche Agape meint, so scheint Fairness ihre Bedeutung passender zu übertragen als unser Wort Liebe. Die Liebe, die Paulus den zerstrittenen Parteien in Korinth ans Herz legt, um trotz aller Unterschiede zusammenhalten zu können, bedeutet nicht, dass sie einfach lieb miteinander umgehen sollen, sondern vor allem fairer! Würde man Fairness oder fair sein für Liebe einsetzen, forderte die Jahreslosung weniger unsere Gefühle heraus, sondern mehr unser Handeln. Eine tätige Liebe wäre gefragt. Nicht im Sinne einer Hilfe für Hilfsbedürftige, sondern im Sinne einer Anerkennung der Gleichwertigkeit und eines entsprechenden Umganges miteinander. Fairness forderte unseren Sinn für Gerechtigkeit heraus und unsere Bereitschaft, uns mit den Verschiedenheiten auseinanderzusetzen und miteinander auf den Weg zu einem echten Frieden zu geraten. Die Jahreslosung hörte sich dann so an: «Alles, was ihr tut, geschehe in Fairness (auf faire Art und Weise)!» Und Anfang und Schluss des sogenannten Hoheliedes der Liebe, einige Kapitel vorher, klängen dann so: «Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen rede, aber nicht fair bin, so bin ich ein tönendes Erz, eine lärmende Zimbel. … Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Fairness, diese drei. Die grösste unter ihnen aber ist die Fairness.» (1. Kor. 13) Auch wenn die göttliche Liebe weiter geht als die Fairness (wie wir glauben und hoffen), so wäre Fairness in unseren irdischen Zusammenhängen eine handfeste und bereits sehr hohe Herausforderung. Eine selten verwirklichte Voraussetzung für ein gelungenes Zusammenleben. Und so vielleicht doch die – unterschätzte – höchste Form der Liebe.
4. Streit und Zusammenhalt
Immer nur lieb sein? Nein. Es ist vielleicht gerade ein gutes Zeichen, wenn wir dort, wo wir mit anderen zusammenleben, in Kirchgemeinden und Kirchen, uns noch übereinander nerven und miteinander streiten. Das würde doch bedeuten, dass dort immer noch verschiedene Menschen zusammenfinden, die ein Freundeskreis nicht zusammenhalten kann. Freundeskreise haben ihre Berechtigung, aber sie schliessen tendenziell alle aus, die einander nicht sympathisch sind. Nur dort, wo wir uns gegenseitig mit unseren Unterschieden auseinandersetzen und wo wir dabei einen fairen Umgang miteinander pflegen, nur dort halten wir das vielfältige Leben zusammen, nur dort gelingt das Zusammenleben, wächst der Friede und gedeiht das Leben in dieser seiner grossen Vielfältigkeit. Eine Überzeugung, eine Haltung, ein Handeln tätiger Liebe, das uns auch an Ostern herausfordern soll – auf unserem Weg vom Tod zum Leben.
Was denken Sie darüber? Haben Sie Einwände? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Das wäre sehr interessant zu hören. Melden Sie sich!
Meine Einwand
Fairnis löst Konflikte auch nicht. Wenn jede Partei eine andere Vorstellung von vom Leben hat. Wer entscheidet was Fair ist. Ethisch Gründe zum Beispiel, aber wenn beide Parteien diese Gründe vorweisen können? Ja man kann auch Fair Kämpfen da heisst es dann der Stärkere Gewinnt auch nicht gerade Fair oder? Durch Fairnis verschwindet die Spannungen auch nicht, wenn es keine beidseitige Fairnis gibt denn jeder will gewinnen. So ist eben der Mensch.
Meine Gedanken über Fairnis
(Auf Faire Art und Weise.) Durch Ferniss sollten eigentlich gar keine Konflikte entstehen.
Bei Gruppen Konflikten gibt es kein Gut und Böse denn jeder steht für seine Überzeugung ein.
Ich finde Liebe dir Fairnis zu ersetzen eine interessante Idee. Und gibt der…