II. Verses: Für eine Innovationsexplosion!
4. Leitung: Befreiung statt Disziplinierung und Entmachtung
a. Vergangenheit herrschaftlich – Zukunft demokratisch
Klar spielt das Pfarramt in diesen Kämpfen um die Gestaltungsmacht eine wichtige Rolle (s.o. 3. Kämpfe um die Oberhand). Geschichtlich gesehen bestehen wohl keine Zweifel daran: Ein bedeutender Teil der reformierten Pfarrschaft rekrutierte sich bald einmal aus den städtischen Patrizierfamilien. Auf dem Land vertraten sie mit dem Evangelium zugleich die Regierung und verkündeten deren Weisungen und Erlasse von der Kanzel. Von dorther der Gottesdienstzwang. Von dorther die herrschaftlichen Pfarrhäuser. Anderseits waren es auch Pfarrpersonen, die sich im letzten Jahrhundert bei den kantonalen Regierungen – z.T. lange und vehement – für eine Demokratisierung der Kirche eingesetzt haben. Dafür, dass in Synoden und Kirchenleitungen nicht mehr nur ihr Beruf Einsitz hat. Kirche sollte nicht mehr ohne die sogenannten theologischen Laien, ohne Vertreterinnen und Vertreter anderer Berufe geleitet werden.
b. Das Pfarramt – schwächen oder stärken?
Heute hat das Pfarramt eine zunehmend schwache Stellung. Sowohl in der Gesellschaft als auch innerhalb der Kirche (s.o. 3.a.). Es ist dem Kirchgemeinderat untergeordnet und den anderen Ämtern der Kirche gleichgestellt. Von der ehemals leitenden Stellung der Pfarrpersonen ist noch ihre beratende Funktion übriggeblieben. Diese wird vielerorts stillschweigend übergangen oder offen bestritten. So auch deren Berechtigung, in der Synode Einsitz zu nehmen. Dazu ist ihre ehemals freie Tätigkeit minutengenauer Disziplinierung unterworfen und unterliegt jährlich schriftlichen und mündlichen Kontrollen. Sicher, die Schwächung des Pfarrberufs kann historisch als Retourkutsche verstanden werden. Sie ist Ausdruck des erwähnten Kampfes um die Gestaltung der Kirche (s.o. 3.). Die schleichende Entmachtung einerseits und der intuitive Kampf um den Machterhalt anderseits sind allerdings ein Ausdruck des Niedergangs. Wer das Pfarramt schwächt, schwächt unweigerlich auch die gesamte Kirche: Ihre Verbundenheit mit der Tradition, mit ihrer Identität. Zugleich ihre Ausstrahlung in die Gesellschaft. Und nicht zuletzt auch ihr Erneuerungspotential.
c. Das Pfarramt – es steht im Umbruch
Allerdings: Wer das Pfarramt heute stärken möchte, darf nicht seinen alten Standesdünkel stärken. Im Gegenteil. Wer in unserer Zeit so einen Dünkel fördert, stärkt weder Kirche noch Pfarramt, sondern schwächt beide. Wer das Pfarramt heute stärken will, muss dessen Weiterentwicklung stärken. Leitungstätigkeit steht heute vor einem Umbruch. Auf der Ebene der Kirchgemeinde begegnen uns immer weniger Menschen, die damit zufrieden sind, einfach das durchzuführen, was andere sich ausgedacht haben. «Sag mir einfach, was ich tun soll!» «Schreib und schick mir den Text, den ich lesen soll!» So klang und klingt es hier und da noch. Zunehmend aber begegnen uns Menschen, die anderes wollen. Sie fühlen sich nur geschätzt, wenn sie mitgestalten dürfen – von Anfang an. Wenn sie ihre Persönlichkeit, ihre Ideen und Anliegen einbringen und – was auch immer entstehen soll – mitprägen können. Die Rolle und Verantwortung einer Pfarrperson ist in beiden Fällen eine weitgehend andere. Mit diesen unterschiedlichen Rollen zurechtzukommen, darin besteht heute eine der grössten Herausforderungen für das Pfarramt.
d. Leitung in Kirchgemeinde und Kirche – auch hier Umbruch!
Umbruch in der Leitung – eine Herausforderung nur für das Pfarramt? Nein, für alle, die in der Kirche Leitungsfunktionen innehaben. Ein bedeutender Teil derer, die wir heute in der Kirche mitarbeiten, wollen nämlich vor allem eines: mitsprechen, mitentscheiden, mitgestalten. Ob als Freiwillige, Ehrenamtliche oder Berufsleute. Wir wollen an der Leitung massgeblich und auf Augenhöhe beteiligt werden. Sei dies die Leitung eines Anlasses, einer Kirchgemeinde oder der kantonalen Kirche. Sonst sind sie, sonst sind wir weg! So steht Leitung auf allen Ebenen vor einem Umbruch. Das gilt für die Ämter wie für jegliches Ehrenamt. Und –für die Kirchenleitung. Und nicht zuletzt auch für ihre zentralen Dienste. Statt zur Disziplinierung, sind sie da zur Befreiung. Zur Ermöglichung von Spielräumen und Auseinandersetzungen (s.o. 3.c.). Damit Neues entstehen kann. Damit die Vielfalt des Lebens sich in unsrer Kirche entfalten und erblühen kann.
Übersicht
1. Wir produzieren die Katastrophe
2. Wir haben keine Chance: Ergreifen wir sie!
II. Verses: Für eine Innovationsexplosion!
III. Bridge: Brachzeit – Kirchen-Sabbat! 1. Wer hat noch Kraft für einen revolutionären Schritt?
2. Exnovation: Raum für Neues schaffen
3. Ein Pfad zur Erneuerung: Brachzeit – Gesprächszeit
IV. Chorus: Evangelium? 1. Wie das Evangelium leben?
2. Imperative prägen unsere Kirchen – Zuspruch leben?
3. Evangeliums- und Innovationsexplosion
1. Wir halten das Kirchen-Gefährt auf dem Weg
2. Eine wundersame Wegverlängerung
3. Trost und Hoffnung?
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